Anmerkungen zu Homonymzusatz
Grundregeln für Homonymzusätze in der GND
Nicht alle Homonyme haben in der GND einen identifizierenden Zusatz. Die Vergabe ist durch die Erfassungshilfe EH-S01 "Identifizierender Zusatz bei Sachbegriffen" vom 1. März 2017 geregelt.
Auszug aus den Grundregeln EH-S01_2017-03-01.docx:
Homonymie zwischen bevorzugten Benennungen
Bei Nachweis eines Sachbegriffs, der gleich lautend (homonym) zu einer bevorzugten Benennung ist, bzw. bei Homonymie zwischen bevorzugten Benennungen ist zu beachten, dass der identifizierende Zusatz im Allgemeinen bei der bevorzugten Benennung entfällt, welche die Grundbedeutung repräsentiert, die sehr viel bekannter bzw. gebräuchlicher ist als die andere(n) bzw. zu der wesentlich mehr Literatur erwartet wird (vgl. RSWK §§ 10,2; 306,5).
Als Grundbedeutung bzw. als sehr viel gebräuchlicher oder bekannter gilt ein Nachweis im Duden online (http://www.duden.de/suchen/dudenonline). Sind mehrere Bedeutungen zu einem Sachbegriff vorhanden, gilt der Begriff mit der an erster Stelle genannten Bedeutung als Grundwort, welches keinen identifizierenden Zusatz bekommt.
Im Zweifelsfall erhalten alle bevorzugten Benennungen einen identifizierenden Zusatz (vgl. RSWK § 306,5).
In der Praxis wird diese Regelung aber wohl nicht angewandt. Die Vergabe von Homonymzusätzen erfolgt vielmehr nach der zeitlichen Reihenfolge der Erfassung: Das zuerst angelegte homonyme Schlagwort erhält keinen identifizierenden Zusatz. Mögliche Probleme bei der Anwendung der Grundregeln (EH-S01) und Konsequenzen fehlender Disambiguierung für das Information-Retrieval werden im Folgenden kurz angesprochen.
Probleme bei der Anwendung der Regeln
Ermittlung der "Grundbedeutung"
In der Praxis ist die Ermittlung der gebräuchlichsten Bedeutung eines Begriffes nicht in jedem Fall eindeutig möglich. Eine Grundbedeutung gibt es nur bei Polysemen, Homonyme sind sui generis unterschiedliche Begriffe. Im Duden sind Polyseme entsprechend unter einem Lemma verzeichnet, während Homonyme zwei oder mehrere eigenständige Einträge haben.
Wie ist unter diesem Aspekt die Regel auszulegen "Der Begriff mit der an erster Stelle genannten Bedeutung soll als Grundwort gelten, das keinen identifizierenden Zusatz bekommt"? Ist
- bei Polysemen der 1. Eintrag in der nummerierten Liste von Bedeutungen gemeint,
- bei Homonymen der erste Eintrag in der Ergebnisliste?
Beide Positionen können sich im Zuge der Bearbeitungen des Duden ändern.
Wie lässt sich verlässlich die Bezeichnung ermitteln, "zu der wesentlich mehr Literatur erwartet wird"? Wenn die GND sich für andere Sparten des Kulturerbes öffnet, ist die Häufigkeit der Vergabe eines Schlagwortes für bibliografische Werke ein schwieriges Kriterium.
Abweichungen von der Grundregel in der GND-Praxis
Folgende Beispiele aus der GND belegen, dass die Regelung nur schwer konsistent anwendbar ist:
- Feder ohne HZ in der GND entspricht im Duden Bedeutung 3. für das Metallteil.
- Schloss ohne HZ in der GND entspricht im Duden Bedeutung 4. für Wohngebäude des Adels.
- Zelle ohne HZ in der GND entspricht im Duden Bedeutung 5. für die kleinste Einheit von Lebewesen.
- Führer ohne HZ in der GND entspricht im Duden Bedeutung 2. für das Buch.
Begriffliche Inkonsistenz
Plan
Das Polysem "Plan" (für Vorhaben, Entwurf, Karte) hat im Duden als ersten Eintrag die Bedeutung "Vorhaben". In der GND hat der Deskriptor Plan den Verwendungshinweis: "Für grafische Darstellungen; z. B. technische Zeichnungen, Bauzeichnungen, Gartenpläne usw. [...]" und entspricht damit Bedeutung 2. im Duden. Die Konkordanz zu LCSH "Intention" und die Unterbegriffe entsprechen Bedeutung 1 im Duden und nicht der im Verwendungshinweis beschriebenen Bedeutung.
Bank
Bank: Für das Homonym "Bank" wird im Duden als erstes Lemma in der Ergebnisliste die Sitzgelegenheit angezeigt vor dem Geldinstitut als zweitem Lemma. In der GND hat Bank als die Institution keinen identifizierenden Zusatz, dagegen aber Bank (Möbel)
Gitter
Der Sachbegriff "Gitter" (http://d-nb.info/gnd/4157374-2) wird in der GND für verschiedene Sachverhalte verwendet.
Siehe auch die Begriffsklärungsseite für ↑ Gitter in Wikipedia und für ↑ Gitter im Duden.
Konkordanzen: http://id.loc.gov/authorities/subjects/sh85057353.html Grilles
Sachbegriff | Narrower term (general) | Alternative Bezeichnung | GND-Sachgruppen | DDC |
---|---|---|---|---|
Gitter | 31.3a Architektur ; 31.3b Bautechnik ; 13.6 Kunsthandwerk | 720 Architektur | ||
Beugungsgitter | Optisches Gitter | 21.3 Elektrizität, Magnetismus, Optik | ||
Gitterrost | 31.3b Bautechnik | |||
Kugelgitter | 31.1b Technische Physik, Technische Mathematik | |||
Sprechgitter | 3.5a Liturgik, Frömmigkeit ; 3.1 Allgemeine und vergleichende | |||
Stabgitter | 31.1b Technische Physik, Technische Mathematik | |||
31.3a Architektur |
Figur
http://d-nb.info/gnd/4229620-1
https://de.wikipedia.org/wiki/Figur
https://www.duden.de/rechtschreibung/Figur
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/2LB4ZBKQ2PJDQFAVQIA3AGKCKFTDZVIM
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/DNQW47NLMETIRM7R5YT3MQVRWSULMP3B
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/BCEPTWL547DCLEWFIQVD3SOKEVWS4GPE Rückenfigur, siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%BCckenfigur
https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/IX4WHTFDEPMR2LOGAKH7VBF7JE4537KZ Bach
Vokabularpflege
Bei falscher Interpretation einer mehrdeutigen Bezeichnung können falsche semantische Relationen erstellt werden:
Beispiel: Amt hat in der GND den Verwendungshinweis "Als HZ bei Geographika zu benutzen; auch für Amtsbezirk […]". Die Unterbegriffe "Ehrenamt" und "Öffentliches Amt" sind unpassend, siehe Amt im DWDS und Amt im Duden.
Indexierung
Fehlende Homonymzusätze können zu fehlerhafter Indexierung führen:
Beispiel: Verknüpfte Dokumente für "Druck" im DNB-Katalog und in der DDB.
Erstellung von Konkordanzen
Fehlende Homonymzusätze können zu falschen Abbildungen von Begriffen externer Vokabulare auf GND-Deskriptoren führen.
Beispiel: Im DDB-Objekt "Die Kartoffel rettete Deutschland" ist für "Essen und Trinken" auf die Stadt Essen gemappt worden.
Fazit
Die Regeln zur Vergabe von identifizierenden Zusätzen sind nur schwer konsistent umzusetzen. Fehlende Homonymzusätze führen zu Problemen bei Vokabularpflege und Information-Retrieval. Die Probleme wären zu umgehen, wenn jedes Homonym oder Polysem eines Entitätstyps immer einen identifizierenden Zusatz erhält, wenn es keine eindeutige präkombinierte Bezeichnung gibt.
Frage: Werden identifizierende Zusätze auch über Entitätstypen hinweg (zum Beispiel Sachbegriffe und Geografika) benötigt? Die Praxis zeigt häufige Verwechslungen (Essen, Pest, Leiden, Linsengericht etc.).